Zeit des Gruselns

Es ist so weit – jedes Jahr aufs Neue feiern wir Halloween. Auch in Deutschland ein sehr beliebtes Fest. Es wird geschmückt, geschnitzt, dekoriert und verkleidet. Wann lässt es sich auch besser gruseln als in der kalten, nass-dunklen Jahreszeit des Oktobers?
Ohne, dass ich dieses schaurige Treiben weiterhin kommentiere, merke ich, dass es meinem vierjährigen Sohn seltsam vorkommt, dass sich die Hauseingänge von heute auf morgen so drastisch verändern. Spinnen, Totenköpfe, Blutspritzer und Fratzen. In jedem Supermarkt, im Restaurant, im Schwimmbad – beinahe überall werden wir mit Halloweendekorationen konfrontiert. Spannend ist, dass es trotz dieses Gewöhnungseffekts einige Kinder gibt, die all das dennoch gruselig finden und sich fürchten. Was gewissermaßen auch die Absicht des Festes ist.
Wenn ich also von meinen Kindern gefragt werde, warum wir kein Halloween feiern, antworte ich zumeist kurz und knapp, dass ich das Gruseln nicht feiern möchte, weil ich es nicht schön finde (wirklich gruselig an Halloween finde ich jedoch die Tatsache, dass wir Erwachsene oft nicht wissen, was wir an diesem Tag eigentlich feiern).
Ich finde, manchmal sind komplexe Zusammenhänge so schnell und doch einfach erklärt. Kinder müssen in der Regel oft gar nicht wissen, was der Ursprung dieses Festes ist, woher es kommt, worauf es zurückführt, welche Absicht man damit verfolgt. Wenn ein Kind nach einer simplen Antwort nicht weiter nachfragt, dann gehe ich in der Regel davon aus, dass ihm diese Antwort auch reicht. Für Erwachsene hingegen finde ich es durchaus interessant, sich einmal mit dem Ursprung und den Mythen von Halloween zu befassen. Denn eines ist klar und das fällt mir jedes Jahr aufs Neue auf: Wir Menschen denken oft nicht konsequent!
Was ich damit meine? Mir fällt auf, dass es kaum einen Erwachsenen gibt, der gerne über den Tod spricht oder nachdenkt. Der sich in den Mittedreißigern, in denen ich mich befinde, wirklich ernsthaft fragt, was wohl aus ihm wird, wenn er morgen stirbt. Ist doch klar, dass wir uns solchen Fragen möglichst nicht stellen, denn das macht Angst! Und soooooo viele Berührungspunkte mit dem Tod hat man in seinem normalen Alltag meist gar nicht, als das man darüber nachdenken müsste (Ausnahmen durch schwerwiegende Erkrankungen oder Kriegserfahrungen natürlich ausgenommen). Also frage ich mich: Wieso feiern wir ein Fest, an dem wir uns Totenköpfe und Skelette in den Vorgarten hängen? Zelebrieren mit einer feucht fröhlichen Party Tote? Das erschließt sich mir einfach nicht.
Genauso absurd finde ich es, unseren Kindern 364 Tage des Jahres zu erzählen, dass es keine Geister und Gespenster gibt, dass niemand unter ihrem Bett lauert und sie sich nicht fürchten müssen. Und dann, an einem Tag im Jahr, an Halloween, ermuntern wir sie, sich zu fürchten, zu gruseln und das Gruseln sogar zu feiern? Da kann ich mich nur folgendes fragen: HÄ? Verstehe ich einfach nicht. Das ist für mich nicht logisch nachvollziehbar.

Natürlich, wir feiern gewissermaßen auch am 31.10. Ich schnitze mit den Kindern auch Kürbisse, nur eben dieses Jahr beispielsweise einen Zug. Einen leuchtenden Zugkürbis, weil das die Kreativität meines Sohnes dieses Jahr so vorgibt. Und ja, wir kaufen auch jede Menge Süßigkeiten und essen sie zu Hause selbst (oder teilen sie mit Freunden, die wir zum Kürbisschnitzen einladen). Es gibt viele Alternativen, dieses Fest zu „feiern“, indem man es für sich so füllt, wie es sich gut anfühlt. Warum überhaupt feiern? Nun, Kinder sehen die Vorbereitungen für Halloween überall und in der Regel wollen sie mitmachen. Warum also nicht mal eigene Rituale für diesen Tag erfinden, welche, die dir logisch und nachvollziehbar erscheinen. Das geht auch ganz ohne gruseln. Ich finde es allerdings wichtig, mit den Kindern darüber zu sprechen, was Halloween für dich bedeutet, zu erklären, warum man es feiern mag oder eben nicht. Eben in dem Umfang, wie es für das Kind notwendig ist. Manche Kinder haben viele Fragen dazu und brauchen viel Erklärung und andere wiederum nicht. Manchmal bedarf es mehr Erklärung, als zu wissen, dass es nur um Gruselspaß und Süßigkeiten geht, denn alles hat einen Ursprung. Das wäre ja, wie Weihnachten feiern, ohne zu wissen, warum wir uns eigentlich beschenken. Der ein oder andere mag jetzt lachen, herzliche Einladung dazu, aber in der Tat wissen wir das oft nicht. Wir erzählen uns nicht mehr, dass der Ursprung darin gründet, dass wir die Geburt von Baby Jesus feiern und dass er, wie wir auch, Geschenke zum Geburtstag bekam. Weil wir seine Geburt feiern, an seinen Geburtstag denken, beschenken wir uns. Vielleicht für den ein oder anderen eine zu einfache Erklärung, trotzdem trifft sie doch den Kern von Weihnachten. Warum sollten wir das nicht erzählen, wenn es doch der Ursprung des Festes ist?! Ob wir das gutheißen, wir „gläubig“ sind oder nicht, das sei mal dahingestellt. Es geht doch vielmehr darum, Wissen und Traditionen weiterzugeben. Wie unsere Kinder das später bewerten, das sei ihnen selbst überlassen. Doch es nicht weiterzugeben, sorgt für eine Lücke.
By the way: Wusstest du, dass wir am gleichen Tag, an dem wir Halloween feiern, ein ursprünglich irisches Fest, selbst einen deutschen Feiertag zelebrieren, der nicht nur in Vergessenheit gerät, sondern uns völlig fremd wird? Reformationstag! Und wieder: HÄ? Tatsächlich war mir auch sehr lange nicht bewusst, was dieser Tag bedeutet, woran wir gedenken, was wir feiern. Wurde mir irgendwie kaum vermittelt oder aber ich erinnere mich nicht.
Der Reformationstag ist weitaus mehr als ein dröger evangelischer Feiertag. Es ist ein „Meilenstein – Tag“. Ein Tag, an dem ein Mann so viel Mut hatte, dass er zu damaliger Zeit, 1517, die Missstände der Kirche aufzeigte und öffentlich scharf kritisierte. Martin Luther tat das nicht in Form eines höflichen Briefes, nein! Ganz provokant: Er nagelte seine 95 Thesen an die Tür der Kirche. 95 Forderungen und Verbesserungen. Wow! Zur damaligen Zeit, in der die Leute noch teuer Geld für sogenannte „Ablassbriefe“ zahlten, die ihnen im Sterbefall ein Ticket in den Himmel garantierten, war das revolutionär. Wir mögen uns heute ja viel über Kirche und ihre Missstände beschweren, doch dieser Mann hatte Mut und Biss, etwas zu verändern. Ich finde das erwähnenswert.
Es ist mir letztendlich gleich, welches Fest die Leute um mich herum am 31. Oktober feiern. Es geht mir darum, ein Bewusstsein zu schaffen für das, was wir tun oder nicht tun, für das, was wir vermitteln und vorleben wollen. Dazu möchte ich dich ermutigen. Wieder Ursprünge zu ergründen, Fragen zu stellen oder mutig bestehende Traditionen kreativ umzudeuten und für dich und deine Familie neu zu füllen.
Fun Fact zum Schluss: Für alle Erwachsenen, die sich öfter als einmal im Jahr gruseln wollen - schaut doch hin und wieder die Nachrichten. Gänsehautmomente und Gruselfaktor garantiert!

