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Massenviehhaltung und Kindertageseinrichtung
 Ein kritischer Blick auf die Kitapolitik

Klassenzimmer mit Utensilien

Wir alle wissen drum: Massenviehhaltung ist furchtbar! Furchtbar, weil wir Tiere wie unbeseelte Objekte behandeln und ihnen damit ein Recht auf artgerechte Haltung verweigern. Furchtbar vor allem aber auch, weil wir Menschen dazu neigen, immer mehr für immer weniger Geld produzieren und konsumieren zu wollen. So liegt der durchschnittliche Fleischkonsum der Deutschen mittlerweile bei mehr als 1000 Gramm wöchentlich! (Vgl. Focus Online)

Also: Wir sagen ja zum Tierschutz, verstehen die Ernährungsrichtlinien für angemessenen Verzehr von Fleisch- und Wurstwaren – und scheitern trotzdem bei der Umsetzung! Wo liegt das Problem?

Ich würde behaupten das liegt vor allem daran, dass wir nicht gelernt haben an welchem Punkt es genügt immer mehr für weniger Aufwand haben zu wollen. Heutzutage muss alles lukrativ und profitabel sein, dabei gerät allerdings in Vergessenheit welchen enormen Preis wir dafür zahlen. Bei der Massenviehhaltung zahlen den Preis definitiv die Tiere, denn sie leiden unter den Bedingungen, zu denen wir sie halten. Bei der modernen Kindertageseinrichtung, die im Schnitt bis zu 150 Kinder beherbergen kann, wenn man von einer klassischen Kindertagesstätte mit U3 und Hortbetreuung ausgeht, sind es die Kinder, die darunter leiden. Von ganzem Herzen: Hut ab vor allen Alltagshelden, die diesen Job jeden Tag mit Liebe und Hingabe zu den Kindern meistern. Mir fehlt manchmal in meinem Alltag mit nur zwei Kindern schon die nötige Ruhe und Geduld! Sicher, das ist provozierend zu behaupten unsere Kitas wären mit der Massenviehhaltung zu vergleichen, wo doch noch so viele Betreuungsplätze fehlen! Doch ist dir noch nie aufgefallen, wie sehr wir inzwischen für Tierschutz beim Fleischkauf sensibilisiert sind, aber kaum die Probleme im Blick haben, die sich für unsere Kinder durch immer längere Betreuungszeiten in immer größeren Einrichtungen bei gleichzeitigem Personalmangel ergeben? Ist das nicht entsetzlich? Gerade in einer Zeit, in der das Wohl des Einzelnen so hochgehalten wird wie noch nie? Wie soll, gemäß Kitawerbung, die Individualität und Persönlichkeit eines jeden Kindes geachtet und gefördert werden, wenn zwei Erzieher und ein Praktikant (zumindest rein rechnerisch und ohne Krankenstand) für ca. 20 Kinder zuständig sind? (Vgl. Focus Online)

Natürlich kann man sich jetzt fragen: Welche Alternativen gibt es zur klassischen Kindertageseinrichtung, in der mein Kind eines von vielen ist und irgendwie lernen wird mitzulaufen? Denn meiner Meinung nach können diese Konzepte nur mit der Einschränkung funktionieren, dass die Kinder sich in den Rahmen der gegebenen Normierung einpassen und lernen, ungeachtet ihrer individuellen Bedürfnisse in der Gruppe „mitzulaufen“. Das aber ist purer Stress für die Kinder und inzwischen wird dies auch zunehmend thematisiert. Denn, was viele Erwachsene nicht wissen: Spielen, Lernen, Turnen und Ruhen nach Stundenplantakt, das ständige Zusammensein in der Gruppe und kaum Zeit für das freie Spiel ist für Kinder Arbeit - und – ähnlich wie bei den Erwachsenen - purer Stress. (Vgl. watson)

Meines Erachtens brauchen wir wieder mehr Kinder, die einfach spielen dürfen, die Welt und sich selbst darin erfahren. Kinder, denen man nicht ständig einen Rahmen von außen vorgibt, die frei und kreativ Ideen entwickeln und umsetzen können. Kinder, die lernen konfliktfähig zu werden, weil sie sich streiten dürfen und niemand sie nötigt „Entschuldigung“ zu sagen, bevor es eigentlich richtig gekracht hat. Kinder, die gelernt haben Angst wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, damit umzugehen, noch bevor der Erwachsene sie warnen oder „Vorsicht“ rufen kann.

Kinder leben im Spiel in der beständigen Spannung von „sich einer Gefahr stellen“ und stolz herausfinden wollen, was sie bereits alles können. Diese Kinder werden später widerstandsfähig, werden in der Lage sein Lösungen und Strategien zu entwickeln, wenn sie vor einem Problem stehen. (Vgl Hüther, Renz-Polster S.183, 163)

Kinder in zu vollen Kitas, die sich dann auch noch alle ein zu kleines Außengelände teilen, in dem alles so sauber und sicher ist, dass die eigentliche Konfrontation mit der Natur ausbleibt, lernen höchstens die Zeit zu überbrücken, bis die Eltern wieder kommen, um es abzuholen, doch die basalen Bewegungskompetenzen gehen immer mehr zurück. Was meine ich damit? Ein Beispiel: Eine wesentliche Kompetenz ist es sich mit seinem Körper in der Natur so bewegen zu können, dass das Risiko sich zu verletzen möglichst geringgehalten wird. Es ist nachgewiesen, dass dreiviertel aller Unfälle, die den Kindern beim Spielen im Freien widerfahren nur deshalb so „schlimm“ sind, passieren, weil die Kinder motorische Defizite haben. Und die haben sie nur, weil sie zu wenig in der Natur, im Freien spielen, denn eine Wohnung, ein Innenraum, eine Institution gibt bei weitem nicht die Bewegungsabläufe her, wie die Natur. (Vgl Hüther, Renz-Polster S.183)

Natürlich braucht eine Kita einen Sicherheitsstandard, beispielsweise im Außengelände, doch dann braucht sie auch mehr Tage, die die Kinder in der Natur verbringen, statt auf dem eigenen Außengelände, welches normiert und scheinbar sicher ist. Denn dort lernen die Kinder nicht die Fähigkeiten, die sie für ihr späteres Leben brauchen. Diese Fähigkeiten erlernen sie in der Natur: Wie man durch Pfützen springt, über Baumstämme klettert, durch den Schlamm robbt und so weiter. Verstehst du was ich meine?

Kita ist ein wohlgemeinter Ort, den Erwachsene für Kinder kreiert haben und von dem sie ausgehen, dass er gut für sie ist, denn er verfolgt ja nur gute Absichten! Versteh mich recht: Kita ist nicht grundsätzlich schlecht! Nur manchmal haben wir Erwachsene vor lauter wirtschaftlicher Notwendigkeiten und dem politischen Willen, allen Eltern das Recht auf einen Kitaplatz zuzusichern, aus den Augen verloren, was für unsere Kinder und ihre Entwicklung tatsächlich gut ist.

Das alles mag so klingen, also wäre die Alternative einzig und allein die Villa Kunterbunt, in der Pippi Langstrumpf das Sagen hat. Sicherlich eine nette Vorstellung! Meines Erachtens würde es bereits genügen, das Problem erst einmal ernst zu nehmen und sich als Eltern zu fragen, was man selbst zur Lösung des Problems beitragen kann und möchte.

Dazu zählen sicherlich Dinge wie das Buchen kürzerer Betreuungszeiten, viel Freiraum zu Hause für das freie Spiel, Ausflüge in die Natur, … oder die Wahl alternativer Betreuungsformen, die mit kleineren Gruppen und einem anderen Personalschlüssel zum Wohl des Kindes beitragen.

Es muss doch möglich sein, Kindern einen sicherheitsspendenden stressfreien Entwicklungsraum zu schaffen: Betreuungsangebote mit kleiner Gruppengröße, die eine persönliche Beziehung der Erzieher zu jedem einzelnen Kind zulassen, die eine individuelle ganzheitliche und kreative Förderung ermöglichen und dem Kind vermitteln, in seiner Einzigartigkeit gesehen, wertgeschätzt und für die Gruppe wichtig zu sein. Solche Kindheitsorte sind möglich – wenn wir bereit sind, selbst den Preis dafür zu bezahlen.

Wahrscheinlich müssen wir für einen solchen Ort mehr als normal bezahlen, ebenso, wie wir es für Lebensmittel in Bioqualität auch tun. Vielleicht verlangt er aber auch statt mehr Geld mehr Engagement und Mitwirkung von uns. Oder: Es könnte sein, dass ein Elternteil in den Kitajahren auf eine Vollzeitstelle verzichtet, um dem Kind mehr Zuhause und statt 8 nur 4 - 5 Stunden Betreuung zu ermöglichen. Was ist uns eine glückliche Kindheit unserer Kinder wert?

Dieser Beitrag soll dich ermutigen, Kita einmal anders zu denken und den Blick auch für Kita-Alternativen und ihre Vorteile zu weiten. Er soll dir aber keinesfalls ein schlechtes Gewissen machen, wenn du dich bereits für die klassische Kita entschieden hast. Darüber steht mir ein Urteil nicht zu, zumal ich weder dich noch deinen Alltag kenne. Außerdem: Vielleicht fühlt sich dein Kind in seiner Kita auch pudelwohl, dann feier diesen Erfolg deines Kindes!

Ich möchte lediglich aufzeigen, dass Veränderung nur da möglich ist, wo wir mutig Missstände ansprechen, ein gängiges System hinterfragen und bereit sind, Alternativen zu finden.

Quellen

Focus Online: Erschreckende Kita-Studie: "Mehr als Aufbewahren ist oft nicht drin"", unter: https://www.focus.de/familie/eltern/zu-wenig-personal-zu-viele-kinder-erschreckende-kita-studie-mehr-als-aufbewahren-ist-oft-nicht-drin_id_12356888.html (abgerufen am 02.01.24).

Focus Online: Maximal 600 Gramm Fleisch pro Woche", unter: https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/gesundessen/ernaehrungsregel-4-maximal-600-gramm-fleisch-pro-woche_id_1861541.html (abgerufen am 02.01.24).

Hüther, Gerald; Quarch, Christoph (2020): Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist. München: Carl Hanser Verlag.

 

watson: „Kinder im Dauerstess: Warum die Kindheit mit dem Kita-Besuch aufhört", unter: https://www.watson.de/leben/meinung/563489785-kita-stress-fuer-die-kinder-erzieherin-warum-die-kindheit-mit-dem-kita-besuch-endet (abgerufen am 02.01.2024).

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