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Leuchte auf mein Licht!
 

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„Leuchte auf mein Licht, leuchte auf mein Licht, nur meine lieber Laterne nicht!“

 

Wir alle kennen sie, die altbekannte Liedstrophe aus dem begehrten und alle Jahre wiederhallenden Lied „Laterne, Laterne“, welches auch heute noch fröhlich beim Martinsumzug durch die Straßen geschallert wird. Ich wundere mich allerdings jedes Jahr aufs Neue, wie es möglich ist, diese Strophe mit den Kindern zu singen, wenn die meisten Kinder im 21. Jahrhundert gar kein echtes Feuer, sondern ein Plastik LED - Licht in ihrer Laterne mit sich herumtragen (oder eben durch die Gegend schleudern – hängt stark vom Temperament des Kindes ab). Wir haben also unsere Laternen dem neuen Sicherheitsstandard angepasst, indem wir ihnen das Feuer geraubt und durch „sichere“ LEDs ersetzt haben, singen aber immer noch die „ollen Kamellen“. Da stimmt doch was nicht! Ich bekomme jedenfalls ein ungutes Gefühl, wenn ich beobachte, dass heutzutage zwar alles sicher geworden ist, den Kindern dadurch aber wichtige Lebenserfahrungen genommen werden. Lebenserfahrungen, von denen sie eben auch ein Leben lang zehren, an die sie sich gerne erinnern und die sie mit Freude weitergeben.

Ich liebe es, mich an die kalten, nass-windigen Tage zurückzuerinnern. Es war heimelig zu Hause oder im Kindergarten und man hatte Lust, drinnen zu sitzen, zu basteln und kreativ zu werden. Kinder verbinden die dunkler werdende Jahreszeit oft mit dem Laternenbasteln, weil das im Kindergarten eine immer wiederkehrende Routine, ein Fest ist, auf das man sich freuen und daraufhin fiebern kann. Die Zeit der warmen Innenräume und Kerzen beginnt.

In meiner Kindheit war der Martinsumzug ein Highlight. Es gab noch kaum Alternativen zu echtem Feuer in der Laterne. Ich hatte eine bedachte und ehrfürchtige Haltung der Laterne gegenüber. Natürlich hat es mir auch in den Fingern gejuckt, mit der Laterne unachtsam hin- und herzuschwenken, doch spätestens, wenn ich merkte, dass dadurch das Feuer ausging, ließ ich es eben sein. Denn wir alle wissen: Auch Superhelden, wie Mama und Papa, werden nach dem zehnten Mal Kerze anzünden müde oder sauer! Ich wurde für das Feuer und seine Gefahren sensibilisiert und war stolz wie Bolle, dass man mir zutraute, damit dicht an dicht durch die Straßen zu ziehen. Sicher kostete es meine Eltern einige Schweißperlen und starke Nerven, vor allem, weil sie mit vier Kindern gleichzeitig einen Umzug besuchten. Die Gefahr war nicht unbedingt, dass sich die Laterne entzündete, sondern dass man den anderen Kindern mit dem Feuer in der Laterne zu dicht auflaufen könnte. Also galt für mich damals: Nicht zu dicht auflaufen, sich auf den Weg und die Laterne gleichzeitig konzentrieren und auch noch so laufen, dass die Kerze an bleibt. WOW! Das forderte mir damals einiges ab, doch ich erlebte einen immensen Kompetenzzuwachs, einen guten und gesunden Umgang mit Feuer, indem ich die Spannung zwischen Gefahr und Faszination quasi in meinen kleinen Händen hielt. Statt keinen Umgang mit Feuer zu haben, wurde ich angeleitet, verantwortungsbewusst damit umzugehen. Wo lernen Kinder das heute, wenn nicht beim Laternenumzug?

Das Laufen mit der Laterne war mein größtes Glück in diesem Moment. Es war nahezu ein heiliger Moment, der mich ganz in seinen Bann zog. Ich bin mir dessen bewusst, dass die Sicherheitsstandards heute um einiges anders aussehen und sich die Veranstalter von Umzügen absichern wollen. Ich bin mir auch dessen bewusst, dass viele Eltern heutzutage mit Ängsten konfrontiert sind, die früher weniger im Fokus standen. Dennoch beobachte ich, dass, obgleich der Umzug mit LEDs heute so sicher ist, viele Kinder kein Bewusstsein für ihre Laterne, keine heilige Vorsicht entwickeln, wie wir es damals hatten. Wie auch? Das LED kann höchstens kaputtgehen, tja, dann kauft man eben nächstes Jahr einen neuen Stab. So what? So hampeln viele Kinder überdreht durch die vollen Straßen und die Laterne geht eben mit, kann ja nix passieren. Es stellt sich mir die Frage, ob die Kinder mit ein bisschen mehr „Risiko“ und „Gefahr“ nicht mehr mitnehmen oder lernen könnten: Lernen, sich zu konzentrieren, lernen, Verantwortung zu übernehmen, ja vielleicht sogar lernen, was man denn dann macht, wenn eben doch mal eine Laterne in Flammen aufgeht. All diese Erfahrungen machen unsere Kinder zu selbstsicheren und stolzen Weltentdeckern. Steht unsere Angst und Sicherheit dem nicht oft im Weg?

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Ein weit verbreitetes Argument, welches für die LEDs spricht, ist, dass es zu anstrengend ist, auf die Kids und dann eben auch noch das Feuer achten zu müssen. Kann es vielleicht sein, dass wir unsere Kinder weniger maßregeln müssten, wenn wir ihnen den Umgang mit echtem Feuer zutrauen würden? Natürlich bin ich dann herausgefordert, mein Kind zu begleiten und brauche bei mehreren Kindern sicher eine zweite Person, die mitläuft. Aber irgendwann lernen Kinder mit der Laterne und der Kerze zu laufen, sodass ich diesen Prozess lediglich begleite und immer weniger darum bangen muss, dass alles glatt läuft. Ich erlebte als Kind die Faszination von Feuer, gab mir die größte Mühe, meine Schritte mit Vorsicht und Bedacht zu gehen, meine Laterne behutsam in der Hand zu lenken. Und dabei hätte ich als Kind sicher eine ADHS - Diagnose bekommen, wenn das damals schon so modern gewesen wäre wie heute. Ich würde also behaupten, dass es manchmal – langfristig gesehen - entspannter ist, ein Risiko einzugehen, bzw. den Kindern den Umgang mit Gefahren zuzumuten, weil sich das positiv auf ihr Verhalten auswirken kann. Die Ehrfurcht vor dem wirklichen Feuer, die Tatsache, dass man mir zutraute, ich könne das schaffen, verantwortlich damit umzugehen, hat mich befähigt, über mich hinauszuwachsen, mich zu spüren. Entgegen meiner quirligen Natur meisterte ich einen meditativen und fesselnden Fußmarsch, bei dem die Laterne eben nicht in Flammen aufging.

Und mal ganz von den Gefahren des Feuers abgesehen: Ist so ein echtes, warmes und natürliches Licht nicht tausendmal schöner, als eine von Plastik umhüllte aufleuchtende LED? Was wollen wir unseren Kindern vermitteln? Den Umgang mit einem Planeten voller Plastik? Das lernen sie sowieso schon an jeder Ecke – dann versuche ich sie lieber für die Schönheit und Natürlichkeit des Lebens zu sensibilisieren.

 

Dieses Jahr wage ich, meinem zweijährigen Sohn ein Teelicht in seine Laterne zu stellen. Sicherlich werden wir einige Male auf dem Parkplatz üben, bevor es zum großen Umzug geht, denn er kommt in seinem Temperament ganz nach mir. Ich kann es kaum erwarten, das Leuchten und die Freude in seinen Augen zu sehen, wenn er mit seiner Laterne durch die Straßen stolziert.

Vielleicht lässt auch du dich von dem ein oder anderen inspirieren und wagst es, gemeinsam mit deinem Kind neue Erfahrungen zu sammeln. Sei mutig, mal etwas Neues auszuprobieren und hab‘ Spaß dabei!

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