„Manchmal will ich einfach klein sein und ich weiß nicht, wie das geht.“ (Liedtext Deine Freunde)
Ein gesellschaftskritischer Weckruf?
In der Musikszene unter den Kleinsten sehr bekannt: Deine Freunde.
Wie der Bandname dreier junger Erwachsener bereits verrät, sind Deine Freunde darauf aus Musik zu kreieren, die Kinderherzen höher schlagen lässt – denn wie gute Freunde kennen sie sich aus in den alltäglichen Belangen eines Kindes und verpacken diese Texte spielerisch und mit peppigen Beats in hochaktuelle Kinderlieder. Diese sorgen nicht nur für gute Stimmung, sondern vermitteln gleichzeitig auch noch Werte, Inhalte und kritische Gedankenanstöße zum Thema Kindsein.
Das Lied „Klein sein“ wird aus der Perspektive eines Kindes gesungen, das sich nichts sehnlicher wünscht als zu spielen, statt dem vollen Terminkalender hinterherzuhetzen und dem leistungsorientierten Bild der Gesellschaft und seiner Eltern zu genügen. Gesellschaftskritisch wird hier versucht aufzuzeigen, dass Kindheit heutzutage in der Spannung aus „einfach Kind sein“ und „aus dem Kind muss was werden“ besteht.
Als ich Deine Freunde das erste Mal hörte, saß ich mit der Tochter einer Freundin am Wohnzimmertisch. Mama war unterwegs und ich sah zu Hause nach dem Rechten, war einfach da, während S. über ihren Hausaufgaben brütete. Am Rande der Frustration fragte sie mich, ob sie ein Lied hören könne. Zu meiner Überraschung war es nicht irgendein Lied, sondern das Lied, das sie zu verstehen vermochte: ein Lied über die leidvollen Hausaufgaben und den dringlichen Wunsch eines jeden Kindes, diese einfach wegschieben und sich etwas Spannenderem widmen zu können. Es begeisterte mich, zu hören, wie genial die Band zu verstehen schien, was in einem Kind abgeht und wie sie es thematisch abholen können. Auch bei S. sah ich pure Begeisterung, denn Deine Freunde schienen sie zu verstehen – schließlich waren Deine Freunde vor nicht allzu langer Zeit selbst einmal Kinder.
Aber waren wir das nicht alle?
Die Kunst der Kindheit liegt darin, sich später an sie erinnern zu können, Erlebnisse in uns wachzurufen, damit wir uns im Alltag in unsere eigenen Kinder hineinversetzen und sie verstehen können. Leider ist unsere Tagesagenda oft so voll, wir sind durchstrukturiert, da wir versuchen Familie, Beruf und Schulleben unter einen Hut zu bekommen – Respekt an jede Mama und jeden Papa! Wie schnell läuft da der Akku leer, der Geduldsfaden ist dünn und die Erinnerung an die eigenen Kindheitserfahrungen sehr weit weg. Doch ich möchte Dich ermutigen: Erinner Dich wieder neu, wie es sich anfühlte, damals, als man Hausaufgaben bekam, sich aber hätte so viel Schöneres vorstellen können, als diese zu bewältigen.
Hand aufs Herz: Geht es uns Erwachsenen nicht oft ähnlich in unserem Berufsalltag? Manchmal scheint der Job dröge zu sein und
wir würden uns wünschen schon auf der Insel zu sitzen.
Damit Kindheit nicht zum Inbegriff unseres oft vollen und strukturierten Tagesablaufes mit Freizeitgestaltungen wird, die sich in Form von außerschulischen Förderungen gestalten, lass uns einen Blick auf die Dinge werfen, die für unsere Kinder heute umso wichtiger sind und für die wir kämpfen sollten, weil sie früher selbstverständlich waren, uns heute aber allmählich verloren gehen.
Wovon genau spreche ich? Ich spreche von den Dingen, die Kindheit so einzigartig machen:
Zeit haben, kreativ werden können, spielen und toben, die Natur entdecken, sich beim Spielen schmutzig machen dürfen, Abenteuer erleben, Drachen steigen lassen, eine Schneeballschlacht machen, über Felder und Wiesen rennen, Freunde treffen, Freundschaften knüpfen, gemeinsame Erfahrungen sammeln, sich langweilen dürfen, den Spielplatz unsicher machen, mit kaputten Hosen nach Hause kommen, basteln, einfach mal nichts tun und, und, und.
Sicher einiges davon ist in der Stadt nicht realistisch oder scheint gar zu idyllisch – was aber nicht bedeutet, dass es unmöglich wäre, diese Dinge zu erleben. Sicher hast Du deine ganz eigenen Erinnerungen an Kindheit, verbunden mit ähnlichen oder anderen Freizeitaktivitäten. Die entscheidende Frage ist: Wann änderte sich die Freizeitgestaltung unserer Kinder dahin, wie es Deine Freunde nennen:
„Wozu ich Lust hab? Tut mir leid, mir fällt nix ein, denn ich muss gerade wieder irgendwo der Beste sein.
Und wie es aussieht, wird sich das nie wieder ändern. Andere haben Spaß, ich hab einen Terminkalender.“
- "Deine Freunde", 2012 -
Sicher, dieser Text will provozieren und zeigt die Extreme, zu denen sich Kinderalltag entwickeln kann. Nichtsdestotrotz steckt darin viel Wahrheit, denn Kindheit heute wird von anderen familiären und umweltlichen Faktoren beeinflusst, als es noch vor 30 Jahren - in meiner Generation - üblich war. Familienstrukturen haben sich insofern geändert, dass die Großfamilie nicht mehr selbstverständlich ist und auch nicht notwendig, wenn es um die Versorgung im Alter geht. Der Trend geht zu mehr Unabhängigkeit und überschaubaren Familiengrößen. Auch die Verstädterung hat mehr und mehr zugenommen, sodass das unbeschwerte Spielen im Freien für Kinder zu einem echten Hindernis wird, denn Kinder und Familien sind auf mehr Mobilität angewiesen. Ebenso finden sich im städtischen Alltag zu wenige Freiräume, die gefahrlos und mit kindlicher Neugier bespielt werden können, wie es auf dem Dorf, beim Spielen in Wäldern, auf Wiesen und Feldern möglich ist. Kinder müssen sich heute zum Spielen oft verabreden und nicht selten ist dies mit einem Ortswechsel verbunden. Zudem erleben Kinder in ihrer Kindheit heute viele außerschulische Termine wie Sport oder Musikvereine. Somit schwindet „Zeit haben“ im Alltag und die Terminkalender füllen sich. Auch die Art des Spielens und die Spielmaterialien haben sich verändert. Kinder wachsen heute im Überfluss auf; die Spielbranchen wissen, dass Kinder ihre größten Konsumenten sind. Spielen in der Gruppe ist durch den Einsatz von Medien nicht mehr zwingend notwendig. Klassische Spiele werden abgelöst durch den medialen Konsum. Kinder, die Kindheit heute auf diese Art und Weise erleben, werden somit auch anders sozialisiert als noch vor einigen Jahren. (Vgl. Niedersächsisches Institut für frühkindliche Entwicklung und Bildung)
In Anbetracht all dieser Veränderungen scheint mir der Text des Liedes „Einfach klein sein“ von Deine Freunde nicht mehr ganz so überspitzt, sondern eher ein gut gemeinter Weckruf an unsere Gesellschaft zu sein. Also lass auch Dich doch mal wieder inspirieren von dem, was Kindheit heute noch alles sein kann außer Freizeitstress und Terminhetzerei. Wann hast Du das letzte Mal mit Deinen Kindern einen Spieleabend gestaltet, einen Ausflug in die Natur geplant? Sicher lässt sich durch ausgewählte und bewusste Freizeitgestaltung vielen Trends unserer Kindheit entgegensteuern, sodass sich auch unsere Kinder an eine Kindheit erinnern, auf die sie gerne zurückschauen und sich dabei wünschen wieder klein zu sein.
Fazit:
Auch wenn mein einjähriger Sohn die Texte und Inhalte der Musik von Deine Freunde noch nicht versteht, mögen wir es beide, diese Musik aufzulegen und uns zu den genialen Beats und Rhythmen zu bewegen. Hinzu kommt, dass es nicht nur banale Kindermusik ist, sondern Musik, die Kinder zu verstehen scheint und zudem die Eltern herausfordert sich mit gewissen Themen auseinander zu setzen oder selbst in Kindheitserinnerungen zu schwelgen. Somit kann ich deine Freunde in jedem Kinderzimmer wärmstens empfehlen. Gibt es übrigens auch als Toni.
Quellen
Niedersächsisches Institut für frühkindliche Entwicklung und Bildung: „Von der Kindheit zur ´veränderten Kindheit´",
unter: https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=141&catid=74&showall=1&start=0
(abgerufen am 01.02.23)